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Das Geheimnis der Sucht: Wirkung versus Situation

Wieso trinken wir Alkohol? Weil wir die Wirkung so genießen oder weil wir die damit einhergehenden Situationen schätzen? Wie es scheint, ändern sich die Gründe im Laufe der Zeit. 

Menschliches Suchtverhalten ist komplex. So unterschiedlich wie Menschen selbst sind auch die Gründe, zur Flasche (oder zur Zigarette) zu greifen. Einfache Antworten können daher immer nur ein kleines Spektrum von Suchtverhalten erklären. Auch wenn sich die ursprünglichen Gründe unterscheiden mögen, so gibt es doch Muster im Verhalten, die über das Individuum hinausgehen. 

Der Frage, wie sich das mit dem Suchtverhalten genau verhält, ging nun eine kanadische Studie nach. Die Wissenschaftler interessierte dabei die Frage, was genau an einer berauschenden Substanz süchtig macht. Sind es die eigentliche Wirkung selbst (z.B. der Rausch beim Trinken von Alkohol) oder Faktoren, die mit der Einnahme einhergehen wie die Situation oder der Geschmack.

US-Soldaten waren nur im Feld süchtig

Bereits aus früheren Studien ist bekannt, dass die Situation bei der Sucht einen großen Einfluss spielt und mitunter der ausschlaggebende Faktor für Suchtverhalten ist. Oft wird das Beispiel von amerikanischen Soldaten zitiert, die während des Vietnamkrieges dem Heroin anheimgefallen sind. Während des Krieges wiesen die Soldaten die typischen Symptome einer Suchterkrankung auf, doch in dem Moment, als sie wieder in die Heimat zurückkehrten, klang auch bei fast allen Soldaten die Sucht ab. Wie es scheint, ist somit nicht die Wirkung der Substanz alleine ursächlich.

Wirkung versus Erwartung

Andererseits ist unstrittig, dass es sehr wohl auch die eigentliche Wirkung einer Substanz (z.B. der Rausch) ist, woran Menschen Gefallen finden, und weswegen sie die Einnahme wiederholen. Wenn nun beides stimmt, dass also einerseits die Situation, aber gleichzeitig auch die Wirkung selbst einen Effekt hat, so muss es einen Mechanismus geben, der erklärt, wann welche Erklärung entscheidend ist.

Rausch in kontrollierter Umgebung

Aus ethischen Gründen verbietet es sich, Experimente mit süchtig machenden Substanzen an Menschen durchzuführen. Aus diesem Grund wurde ein Experiment zu diesem Thema an der Universität Montreal mit Ratten durchgeführt [1]. Die Ratten erhielten mit Wasser verdünnten Alkohol an einer bestimmten Stelle im Käfig. Kurz bevor die Ratten den Alkohol erhielten, klappte stets ein Schalter aus dem Käfig. Dieser Schalter hatte einzig den Zweck, die Alkoholausgabe anzukündigen. Auf menschliches Verhalten bezogen könnte beispielsweise der Anblick von Weingläsern oder einem Zapfhahn dem Schalter aus dem Experiment entsprechen. Diese Prozedur wurde 27 Mal wiederholt. Die Wissenschaftler beobachteten nun, wo sich die Ratten die restliche Zeit am meisten aufhielten.

Änderung der Präferenzen

Wenn sich die Ratten hauptsächlich bei der Alkoholausgabestelle aufhalten, so wird dies als Verlangen nach dem eigentlichen Suchtstoff gewertet. Halten sich die Ratten hauptsächlich beim Schalter auf, so wird dies als Verlangen nach der mit dem Suchtstoff verbundenen Situation gewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Präferenz für die Aufenthaltsorte im Laufe der Zeit umkehrt. Während zu Beginn die Ratten hauptsächlich die Alkoholausgabestelle aufsuchten, wird im Laufe der Zeit die Gegend um den Schalter immer beliebter. Mit anderen Worten: Während anfänglich die Wirkung selbst entscheidend zu sein scheint, wird mit fortlaufendem Konsum die Situation immer wichtiger.

Implikationen für Menschen

Die Ergebnisse mögen abstrakt wirken, doch sind die Implikationen für das Verständnis von menschlicher Sucht außerordentlich groß. Stellen Sie sich beispielsweise vor, es ist Freitag Nachmittag, eine Person steht im Supermarkt und der Blick fällt aufs Bierregal. Ohne lange nachzudenken greift die Person zu und kauft ein paar Flaschen Bier, die sie dann zu Hause trinkt. Den Ergebnissen der Studie folgend, ist es weniger die Vorfreude auf den alkoholbedingten Rausch, der die Person die Biere kaufen und trinken lässt, als vielmehr die Situation, beispielsweise weil die Person üblicherweise am Freitag Abend Alkohol trinkt. Die Ergebnisse könnten auch erklären, weswegen viele Menschen berichten, dass der erste Schluck Alkohol an einem Abend am besten schmecke – es geht nicht um die Wirkung an sich, sondern um das positive Gefühl dem Druck der Situation nachgegeben zu haben. Die Studie verleiht Suchtverhalten einen theoretischen Überbau. Suchtexperten wissen indes schon seit vielen Jahren, wie bedeutend die Situation im Kontext Sucht ist. Daher wird Menschen nach einem Entzug zunächst empfohlen wird, Plätze zu vermeiden, die sie an die Situation erinnern, in der meist die suchtauslösende Substanz konsumiert wurde. Doch auch ohne Suchtproblematik ist es ratsam zu hinterfragen, weshalb man in bestimmten Situationen das Verlangen nach berauschenden Substanzen empfindet.

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Quellen:

1: Srey, C.S., Maddux, J.-M. N, & Chaudhri, N. (2015). The attribution of incentive salience to Pavlovian alcohol cues: a shift from goal-tracking to sign-tracking. Frontiers in Behavioral Neuroscience, doi: 10.3389/fnbeh.2015.00054

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