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Das „Manifest der Hirnforscher“ – Was ist Wunsch, was Wirklichkeit?

Vor 10 Jahren veröffentlichen Wissenschaftler das „Manifest der Hirnforscher“. Darin gaben sie einen Überblick über den damaligen Forschungsstand und einen Ausblick darauf, wie sich die Gehirnforschung in Zukunft entwickeln wird. Eine Bestandsaufnahme.

Kann unser Gehirn das Gehirn verstehen? Führende deutsche Wissenschaftler zeigten sich hinsichtlich dieser Frage in ihrem „Manifest der Hirnforscher“ vor 10 Jahren überaus optimistisch. Nachdem es in den Jahren zuvor bereits eine große Anzahl wissenschaftlicher Erkenntnisse gab, die bis dato unbekannte Aspekte des menschlichen Gehirns beleuchteten, könne, so die damalige Annahme, in Zukunft weiter mit noch größeren Sprüngen in der Gehirnforschung gerechnet werden. Zu den Autoren des damaligen Manifests gehören so namhafte Wissenschaftler wie Wolf Singer (Max-Planck-Institut für Gehirnforschung), Angela Friederici (Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften) und Christoph von der Malsburg (Institut für Neuroinformatik, Universität Bochum). Der Optimismus begründete sich zum großen Teil darin, dass die technischen Möglichkeiten unaufhaltsam wachsen und daher der Blick ins Gehirn ständig genauer wird. Insbesondere die funktionale Magnetresonanztomografie (fMRT) und die Positronen-Emissionstomografie (PET) beflügelten die Phantasien. Diese Verfahren messen den Energiebedarf des Gehirns und können somit feststellen, welche Gehirnbereiche zu welchem Zeitpunkt aktiv sind.

Welche Annahmen haben sich bewahrheitet?

Die Wissenschaftler haben Annahmen darüber formuliert, wie sich der Kenntnisstand in Zukunft entwickeln würde:

  • Das Bewusstsein entschlüsseln: Zwar war vor 10 Jahren bereits einiges über die Funktionsweise der Gehirnzellen bekannt, unklar war jedoch, wie verschiedene Eindrücke zu einem zentralen Gefühl oder eben Bewusstsein integriert werden. Zehn Jahre später muss man feststellen, dass das Detailverständnis zwar weiter zugenommen hat, jedoch nach wie vor nicht geklärt ist, wie aus den verschiedenen Informationen eine gefühlte Einheit entsteht.
  • Krankheiten erklären und behandeln: Für Menschen am relevantesten war natürlich die Hoffnung, zukünftig neurodegenerative und psychiatrische Krankheiten besser zu verstehen und behandeln zu können. Insbesondere bestand die Hoffnung Psychopharmaka zu entwickeln, die mit weniger Nebenwirkungen einhergehen. Leider sind heute nach wie vor die Ursachen der meisten neurodegenerativen und psychiatrischen Erkrankungen nicht geklärt. Auch der Optimismus hinsichtlich neuer, effektiverer und nebenwirkungsärmerer Medikamente konnte sich bisher nicht bewahrheiten.
  • Erkenntnisse über die mittlere Ebene: Die Wissenschaftler zeigten sich zudem optimistisch, dass die sogenannte mittlere Ebene des Gehirns besser verstanden werden könnte. Während bereits viele Erkenntnisse auf Ebene der Gehirnzellen und auf Ebene größere Hirnbereiche erforscht waren, würde die Zukunft darüber Klarheit schaffen, wie kleinere und größere Zellverbände funktionieren. Nach 10 Jahren ist diese mittlere Ebene nach wie vor nicht grundlegend verstanden. Gleichzeitig nahm das Detailverständnis weiter zu.

Dennoch: Grund zu Optimismus

Wieso fällt die Bilanz nach 10 Jahren so nüchtern aus? Ein Grund dafür ist, dass sich die oben erwähnten bildgebenden Verfahren als ungeeignet erwiesen haben, auf komplexe Fragen einfache Antworten zu erhalten. So reicht es nicht aus, zu beobachten, ob eine Region des Gehirns in einem bestimmten Moment aktiv ist. Das liegt in der Tatsache begründet, dass oftmals zusätzlich weitere Bereiche an einer Handlung beteiligt sind und es daher nicht zulässig ist, eine Region zu isolieren und für eine bestimmte Handlung als alleinverantwortlich zu bestimmen. Der Komplexität dieser vernetzten Strukturen werden diese bildgebenden Verfahren nicht gerecht. Dennoch wäre es verfrüht, die Hoffnung auf einen grundlegenden Erkenntnisgewinn im Bereich Hirnforschung aufzugeben. Beispielsweise erforscht das Human Brain Project das Gehirn mit einer gänzlich neuen Methode. In dem Projekt wird der Versuch unternommen das Gehirn in einem Supercomputer nachzustellen und dadurch der Faszination des menschlichen Geistes auf die Schliche zu kommen. Auch die jährlich Hunderte von Veröffentlichungen im Bereich der Hirnforschung nähren die Hoffnung, dass das Gehirn entschlüsselt werden wird, wenn auch in geringerem Tempo, als manch einem lieb ist. Wie beeindruckend gut Computer bereits darin sind, unser Gehirn zu verstehen, demonstriert unser Artikel von letzter Woche.

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Quellen:

1: Manifest der Hirnforscher, 2004. Gehirn und Geist. http://www.gehirn-und-geist.de/alias/pdf/gug-04-06-s030-pdf/834924?file

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