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Haben wir einen freien Willen?

Wie frei sind wir in unserem Handeln? Wie frei ist unser Wille? In den letzten Jahren kam die Annahme der Freiheit unseres Denkens und Handelns gehörig unter Beschuss. Sind wir folglich nur Sklaven unserer Nervenzellen?

Seit jeher haben sich Menschen darüber Gedanken gemacht, wie frei sie in ihrem Handeln sind. Zwei Standpunkte stehen sich stets gegenüber: Wohingegen der eine Standpunkt besagt, dass Menschen in ihrem Handeln und Denken im Grunde frei sind und ihre Entscheidungen das Resultat von ergebnisoffenen Denkprozessen sind, besagt der konträre Standpunkt, dass menschliches Denken und Verhalten vorbestimmt ist und das Gefühl von Autonomie lediglich eine Illusion darstellt. Je nach Weltanschauung und wissenschaftlichem Standpunkt unterscheiden sich die Gründe der Skepsis gegenüber einem freien Willen. Während es aus religiöser Sicht die göttliche Vorbestimmung ist, die unser Denken und Handeln bestimmt, ist es in jüngster Zeit die Neurowissenschaft, die die schwerwiegendsten Attacken gegen die Annahme eines freien Willens fährt.

Handeln vor denken

Dank Technologien wie EEGs und MRTs, ist es seit einigen Jahren möglich, den Nervenzellen bei der Arbeit zuzuschauen. Diese Technologie ermöglicht es, so die Annahmen, festzustellen, ob Denkprozesse vor Handlungen stehen, oder ob umgekehrt Handlungen ausgeführt werden, bevor es zu Denkprozessen kommt. Die Experimente des amerikanischen Wissenschaftlers Benjamin Libet waren in dieser Hinsicht wegweisend. In seinem bedeutendsten Experiment befestigte er Elektroden auf den Köpfen von Studienteilnehmern, durch die sogenannte Bereitschaftspotenziale erfasst werden können [1]. Bereitschaftspotenziale entstehen circa eine halbe Sekunde vor einer Handlung in dem Teil des Gehirns, das für motorische Aktivitäten verantwortlich ist. Die Studienteilnehmer wurden zudem instruiert, mit der rechten Hand auf einen Knopf zu drücken; den Zeitpunkt des Drückens konnten sie frei wählen.

Bereitschaftspotenzial setzt früher ein

Zudem sollten die Studienteilnehmer auf einer Stoppuhr den Moment festhalten, in dem ihnen bewusst wurde, dass sie auf den Knopf drücken möchten. Da es zu Messungenauigkeiten kommen kann, wurden die Daten über viele Durchgänge gemittelt. Die Ergebnisse zeigen, dass das Bereitschaftspotenzial im Durchschnitt 550 Millisekunden vor dem Drücken des Knopfes einsetzt. Das bewusste Erkennen der eigenen Handlungsabsicht setzte erst durchschnittlich 200 Millisekunden vor der Handlung ein. Mit anderen Worten: Die (unbewusste) Vorbereitung der Handlung setzte ein, bevor die Studienteilnehmer sie ausführen wollten.

Unbewusste Entscheidung 4 Sekunden früher

Die Studie wurde in der Folge Gegenstand weitreichender Interpretation. Die Ergebnisse galten als Beleg dafür, dass unser Handeln unsere Gedanken bestimmt und nicht andersrum unser Handeln eine Folge unseres Denkens ist. Ein weiteres Experiment mit einem MRT scheint diese Annahme zu bestätigen [2]. Darin sollten sich Studienteilnehmer willkürlich dafür entscheiden zwei Zahlen zu addieren oder zu subtrahieren. In dem Experiment konnten unbewusste Entscheidungen bereits 4 Sekunden vor der bewussten Entscheidung nachgewiesen werden.

Rahmenbedingungen entscheidend

Was ist die Folge dieser Forschung? Reicht die Beobachtung, dass bestimmte Nervenzellen beim Drücken eines unbedeutenden Knopfes früher aktiv werden, als uns dies bewusst ist, dazu aus, zu behaupten, der freie Wille sei eine Illusion? Sind wir tatsächlich nur Sklaven unserer Nervenzellen? Mitnichten. Eine genaue Analyse der Versuchsanordnung rückt die Interpretation ins rechte Licht. Ein Studienteilnehmer muss sich zunächst bewusst dazu entscheiden, an der Studie teilzunehmen, sodann muss er/sie sich dazu entscheiden, den Instruktionen zu folgen und den Knopf zu drücken. Erst wenn diese Bedingungen erfüllt sind, kann es in diesem engen Rahmen dazu kommen, dass unbewusstes Handeln überhandnimmt.

Autopilot kann ausgeschaltet werden

Natürlich gibt es viele Situationen, in denen unser Autopilot das Steuer übernimmt. Die meisten wiederkehrenden und monotonen Handlungen, wie beispielsweise Autofahren, verlangen nach gewisser Übung nur noch ein geringes Maß bewusster Steuerung und laufen wie automatisch ab. Das ist auch gut so, schließlich setzt dies Ressourcen frei, die uns erlauben, uns wichtigeren Themen zu widmen.

Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman setzt sich intensiv mit der Frage auseinander, wie wir Entscheidungen treffen. Seinen Nobelpreis erhielt er dabei für Forschungen, die zeigen konnten, dass wir uns oftmals auf Faustregeln verlassen, die uns zu schlechten Ergebnissen führen [3].

In diesen Situationen handeln wir, ohne bewusst zu denken. Vertreter der Annahme, dass wir keinen freien Willen haben, der jede Situation evaluiert, sondern durch vorprogrammierte (unbewusste) Faustregeln zu Entscheidungen gelangen, sahen sich bestätigt. Neuere Forschungen von Daniel Kahneman ergeben jedoch ein differenzierteres Bild [4].

Demnach ist zwar in der Tat oftmals unser Autopilot aktiv, wenn es aber wichtig wird, können wir sehr wohl die Kontrolle übernehmen und durch aktives Überlegen andere Entscheidungen treffen, als sie der Autopilot treffen würde. Wie sehr wir Herr unseres Verhaltens sind, erkennen wir während einer Diät. Wir widerstehen dem automatischen Griff in die Chipstüte und treffen somit eine bewusste Entscheidung entgegen unserem unbewussten Denken.

Fazit: Wenn wir möchten, sind wir die Herren unseres Denkens und Handelns

Zwar gibt es in der Tat Situationen, in denen automatische Prozesse das Verhalten bestimmen, doch haben wir zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit, durch bewusste Entscheidungen das Heft des Handelns wieder in die Hand zu nehmen.

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Quellen:

1: Libet, Benjamin. 1985. „Unconscious Cerebral Initiative and the Role of Conscious Will in Voluntary Action.“ The Behavioral and Brain Sciences VIII, 529-539.

2: Soon, C. S., He, A. H., Bode, S., Haynes, J. D. (2013). Predicting free choices for abstract intentions. PNAS, 110 (15), 6217-6222.

3: Kahneman, D., Tversky, A. (1979).Prospect Theory: An Analysis of Decision Under Risk. Econometrica, 47 (2), 263–291.

4: Kahneman (2012). Thinking, Fast and Slow. Penguin Verlag

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