Technologien kommen und gehen, das geschriebene Wort bleibt. Während viele vor einigen Jahrzehnten den Untergang von Büchern prophezeiten, geht es heute nur mehr um die Frage, ob auf Papier oder einem E-Book gelesen wird. Dass gelesen wird, steht außerfrage. Wie die Wissenschaft der Faszination Lesen auf die Schliche kommt.
Unsere Kultur steht vor dem Abgrund, der geistige Zustand der Menschheit ist in Gefahr. Das tiefe Verständnis von Wörtern geht verloren. Schuld ist die neue Technologie! Kommt Ihnen diese Kritik bezogen auf Fernseher, Internet und Smartphones bekannt vor? Der Mahner war niemand geringeres als der große Sokrates und seine Kritik war auf die geschriebene Sprache gerichtet. Für uns kaum vorstellbar, wurde Lesen vor über 2000 Jahren ähnlich kritisch beäugt wie heutzutage stundenlanges vermeintliches Zeitvergeuden auf Facebook und Co.
Aus den Fehlern der Vergangenheit lernen
Die modernen Wissenschaften möchten die Fehler der Vergangenheit vermeiden und neuen Technologien gegenüber offen sein. So konnten dadurch in den letzten Jahren viele segensreiche Wirkungen von Computerspielen identifiziert werden. Nachdem Computerspiele systematisch erforscht wurden, richteten viele Wissenschaftler in letzter Zeit ihre Aufmerksamkeit wieder auf das geschriebene Wort.
Die Faszination von Lesen verstehen
Eine Frage stand dabei im Zentrum: Wie verändert sich unser Gehirn, während wir lesen? Wieso bevorzugen so viele Menschen nach wie vor das Buch gegenüber neueren Medien? Ein Forscherteam um Gregroy Berns von der Emory Universität untersuchte, welche Bereiche unseres Gehirns Änderungen beim Lesen eines Romans zeigen [1]. Dazu wurden die Gehirne der Studienteilnehmer zunächst einmal vor der Untersuchung in einem fMRT analysiert. Im Anschluss erhielten die 21 Studienteilnehmer ‚Hausaufgaben‘ in Form von Kapiteln, die sie über 9 Tage hinweg täglich lesen sollten. Nach den 9 Tagen wurden die Gehirne der Studienteilnehmer erneut untersucht.
Veränderungen in zwei Regionen
Das Lesen veränderte die Gehirne in zwei Bereichen. Zum einen zeigte der temporale Kortex eine erhöhte Aktivierung. Dieser Bereich ist für Sprachverständnis verantwortlich. Zum anderen zeigte auch der zentrale Sulcus eine erhöhte Aktivität. Dieser Bereich ist dafür verantwortlich eine geistige Vorstellung des eigenen Körpers und den Bewegungen des eigenen Körpers zu erhalten. Dieser Befund legt nahe, dass Menschen während des Lesens eines Romans derart in das Geschehen eintauchen, dass das Gehirn den Eindruck hat, dass die Person selbst Teil des Geschehens ist. Dieser Befund kann eine Erklärung liefern, wieso Lesen so beliebt ist: Der Leser fühlt sich, als ob er oder sie selbst an der Handlung teilnimmt.
Die Art des Lesens entscheidet
In einer weiteren Studie der Universität Stanford gingen Wissenschaftler der Frage nach, inwiefern die Art des Lesens die Gehirnaktivität beeinflusst [2]. Dazu erhielten Studienteilnehmer unterschiedliche Instruktionen. Zunächst sollten sie zum Spaß lesen, später dann Aufmerksam lesen (so wie Schüler Romane im Deutschunterricht lesen, wenn sie beispielsweise im Anschluss Fragen zu den gelesenen Inhalten beantworten müssen). Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass durch aufmerksames Lesen verschiedene komplexe kognitive Funktionen koordiniert werden. Aufmerksames Lesen hat somit das Potential zukünftig Bestandteil eines umfassenden Gehirntrainings zu sein.
Quellen:
[1] Berns, G. S., Blaine, K., Prietula, M. J., & Pye, B. E. (2013). Short- and long-term effects of a novel on connectivity in the brain. Brain Connectivity, 3(6), 590-600.
[2] Stanford Report, September 2012: http://news.stanford.edu/news/2012/september/austen-reading-fmri-090712.html