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Neueste Forschungen zeigen: Wir besitzen ein zweites Gehirn unter den Schultern

Liebe führt zu Schmetterlingen im Bauch, eine schlechte Nachricht schlägt einem auf den Magen. Was der Volksmund schon lange weiß, bestätigt nun die Wissenschaft: In unserem Darm wohnt ein zweites Gehirn, das eine bedeutende Rolle in unserem Gefühlshaushalt spielt.

Die Heimat unserer Gedanken ist das Gehirn. Dass auch unsere Gefühle und Emotionen im Gehirn entstehen, gilt ebenfalls als ausgemacht. Doch erinnern Sie sich an Situationen, in denen Sie entweder überglücklich waren, beispielsweise als Sie verliebt waren, oder zutiefst betrübt. Wie haben sich diese Gefühle bei Ihnen körperlich bemerkbar gemacht? Hatten Sie Schmetterlinge im Bauch oder im Kopf? Schlagen Ihnen schlechte Nachrichten auf den Magen oder auf den Kopf?

Aus diesen Alltagsbeobachtungen wird deutlich, dass in unserer Magengegend Prozesse ablaufen, die mit unserem Gefühlshaushalt zusammenhängen. Doch ist der Magen-Darm-Bereich lediglich Empfänger von Signalen aus dem Gehirn oder beeinflusst dieser Bereich selbst Prozesse in unserem Gehirn?

Das zweite Gehirn

Wie „klug“ insbesondere unser Darm ist, verdeutlicht die große Zahl von Nervenzellen, die dort beheimatet sind. Die Zahl der Nervenzellen im Darm ist größer als im gesamten sogenannten peripheren Nervensystem, das Informationen vom Körper zum Gehirn und vom Gehirn zum Körper leitet. Insgesamt befinden sich im Darm über 100 Millionen Nervenzellen, weswegen manch ein Wissenschaftler von der Existenz eines zweiten Gehirns unter den Schultern spricht [1]. Eine wichtige Funktion dieser Nervenzellen ist die Steuerung des komplexen Verdauungssystems. Auch ist bekannt, dass der Darm eine wichtige Rolle in Immunreaktionen spielt. Immerhin sind 70% unserer Immunabwehr im Darm angesiedelt, wo potenziell gefährliche Keime und Viren unschädlich gemacht werden. Aus diesem Grund können Lebensmittel wie Joghurts eine segensreiche Wirkung auf das Immunsystem ausüben.

Die Vagus-Verbindung

Doch auch mit dem Gehirn steht der Darm in Kontakt. Beispielsweise herrscht reger Austausch zwischen dem Nervensystem des Darms und dem sogenannten Vagus-Nerv.
Der Vagus-Nerv ist der zehnte Gehirnnerv und beispielsweise für den Herzschlag verantwortlich. Interessanterweise erfolgt dabei der Großteil der Informationsübertragung vom Nervensystem des Darms hin zum Gehirn und nicht umgekehrt, wie früher vermutet wurde.

Neurotransmitter im zweiten Gehirn

Das Nervensystem im Darm bedient sich dabei der gleichen Neurotransmitter wie das Gehirn. Neurotransmitter übertragen Informationen von einer Nervenzelle zur anderen. Wiederum spielen diese Neurotransmitter eine große Rolle bei der Behandlung psychischer Erkrankungen wie beispielsweise Depressionen. So versuchen Medikamente die Konzentration des Neurotransmitters Serotonin in den Gehirnen von depressiven Patienten zu erhöhen. Doch bleibt die Wirkung dieser Medikamente nicht auf das Gehirn beschränkt. So kommt es oftmals zu Nebenwirkungen im Magen-Darm-Bereich. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass auch im zweiten Gehirn Serotonin zur Informationsübertragung verwendet wird. Durch die Einnahme des Medikaments kann es somit zu Störungen in der Informationsübertragung des Darms kommen.

Potenzial des Darms

Es drängt sich die Frage auf, wie Wissen um die Aktivitäten des zweiten Gehirns in der Behandlung von Krankheiten eingesetzt werden kann. Eine Studie aus Kanada zeigt das Potenzial [2]: Darin wurden Mäuse in ein tiefes Wasserbecken gesetzt. Das Wasser war an jeder Stelle so tief, dass die Mäuse nicht stehen konnten und die Wände des Beckens waren so steil, dass die Mäuse das Becken nicht aus eigener Kraft verlassen konnten. Die Wissenschaftler erfassten, wie lange die Mäuse schwammen, bevor sie resigniert aufgaben. Daraufhin wurden die Mäuse umgehend aus dem Wasserbecken genommen.
Im Anschluss erhielt ein Teil der Mäuse eine spezielle Ernährung. Die Ernährung war mit einem Bakterium angereichert, von dem vermutet wird, dass es die Produktion des Neurotransmitters GABA beeinflusst. GABA ist verantwortlich für die Entspannung und Beruhigung und wird bei der Behandlung von Angststörungen eingesetzt.

Durchhaltevermögen gesteigert

Nach einigen Wochen wiederholten die Wissenschaftler das Experiment. Dabei zeigte sich, dass jene Mäuse, die die spezielle Ernährung erhielten, im Durchschnitt ein höheres Durchhaltevermögen im Wasserbecken aufwiesen. Auch nachdem die Mäuse wieder aus dem Wasserbecken herausgeholt wurden, zeigte die Gruppe Mäuse, die die spezielle Ernährung erhielt, weniger depressive Symptome als die übrigen Mäuse. Die Wissenschaftler vermuten, dass durch die spezielle Ernährung der Neurotransmitter GABA vermehrt produziert wurde und die Mäuse durch die beruhigende Wirkung von GABA weniger schnell verzweifelten. Scheinbar nehmen Prozesse im Darm, die durch Ernährung beeinflusst werden können, auch auf komplexe Verhaltensweisen Einfluss.

Blut-Hirn-Schranke

Es besteht folglich die Hoffnung, dass durch das zweite Gehirn Einfluss auf das erste genommen werden kann, indem beispielsweise die Konzentration von Neurotransmittern erhöht oder reduziert wird. Generell ist es sehr schwer, auf Prozesse im Gehirn durch Medikamente Einfluss zu nehmen. Dies liegt an der Tatsache, dass eine Blut-Hirn-Schranke den meisten Giften und körperfremden Stoffen – und somit auch Medikamenten – den Zutritt ins Gehirn verwehrt. Da die Bakterien im Darm leichter verändert werden können, sind Wissenschaftler optimistisch, dass über diesen Zugang künftig Störungen im Gehirn effektiver behandelt werden können.
Zusammenfassung: Es gibt gute Gründe, öfter mal dem Bauchgefühl zu folgen. Schließlich gibt es neben unserem Gehirn über den Schultern ein zweites kleines Gehirn im Darm, das mit über 100 Millionen Nervenzellen ausgestattet ist. Da dieses zweite Gehirn über die gleichen Neurotransmitter wie das große kommuniziert, können Prozesse im Darm auch Einfluss auf das große Gehirn nehmen.

Quellen:

1: Hadhazy, A. (2010). Think Twice: How the Gut’s „Second Brain“ Influences Mood and Well-Being. Scientific American.

2: J. F. Cryan & T. G. Dinan (2012). Mind-altering microorganisms: the impact of the gut microbiota on brain and behavior. Nature Reviews Neuroscience, 13, 701-712.

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