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Schlafwandeln – Dem Mysterium auf der Spur

Schlafwandeln stellt die Wissenschaft noch immer vor große Rätsel. Neue Erkenntnisse bringen ein wenig Licht ins Dunkel. Auf eine hinreichende Erklärung müssen wir jedoch noch warten.

Dass unser Gehirn nach wie vor das am schlechtesten verstandene Organ des menschlichen Körpers ist, haben wir an dieser Stelle schon oft betont. Was auf das Gehirn im Allgemeinen zutrifft, trifft erst recht auf das schlafwandelnde Gehirn zu. Schlafwandeln – der wissenschaftliche Begriff ist Somnambulismus – ist ein häufiges Phänomen in der Kindheit, circa 30% schlafwandeln zumindest einmal in ihrer Kindheit. Bei Erwachsenen kommt Somnambulismus hingegen bedeutend seltener vor. Eine schlafwandelnde Person zeichnet sich dadurch aus, dass sie nächtens das Bett verlässt und scheinbar wie von Sinnen handelt. Der Schlafwandler kann dabei sogar komplexe Handlungen wie beispielsweise Autofahren in die Tat umsetzen. Bei einem derart kuriosen Verhalten ist es kein Wunder, dass Schlafwandeln seit jeher die Phantasie von Künstlern und Filmemachern anregt. Meist werden Schlafwandler in diesem Zusammenhang als zombieähnliche Wesen dargestellt, die mit ausgestreckten Armen nicht ansprechbar durch die Wohnung spuken.

Keine Erinnerung an die nächtlichen Ausflüge

SomnambulismusWas Somnambulismus so gespenstisch macht, ist, dass auch nach langen Ausflügen am nächsten Tag keinerlei Erinnerung an die nächtlichen Abenteuer bestehen.

Was wir über das Phänomen Schlafwandeln wissen, ist nicht viel. Das liegt insbesondere daran, dass die Erforschung schwer ist. Zwar versuchen Schlaflabore dem Phänomen auf die Schliche zu kommen, doch handelt es sich dabei stets um einen Eingriff in das normale Schlafverhalten. Schließlich werden die Probanden mit Kabeln vernetzt, was dazu führt, dass sie sich anders verhalten als in der vertrauten Umgebung des eigenen Schlafzimmers. Beispielsweise kann die Verkabelung der nötige Widerstand sein, der manch einen Schlafwandler im Bett behält und die Wissenschaft dadurch eines weiteren Probanden beraubt.

Derzeitiger Stand der Wissenschaft

Das Gehirn zeigt die gleichen Muster wie beim Tiefschlaf: Bei der Betrachtung der Gehirne von schlafwandelnden Personen fiel auf, dass das Gehirn während des Schlafwandelns die gleichen Muster wie während der Tiefschlafphase zeigt. Da der Tiefschlaf meistens in der ersten Nachthälfte stattfindet, sind auch die meisten Schlafwandlungen in der ersten Nachthälfte zu beobachten.

Motorische Bereiche aktiv: Während der Großteil des Gehirns Muster wie im Tiefschlaf zeigt, gibt es Bereiche, die überaus aktiv sind. Dabei handelt es sich insbesondere um Bereiche, die für Bewegung und Muskelspannung verantwortlich sind. Diese Hirnaktivität ist die Bedingung für die nächtlichen Spaziergänge.

Schmerzfrei durch den Schlaf

Eine neue, nun im Fachmagazin Sleep erschiene Studie, erweitert das Wissen über das Schlafwandeln um ein weiteres spannendes Kapitel. In der in Montpellier durchgeführten Studie wurde der Frage nachgegangen, wie sich das Schmerzempfinden während des Schlafwandelns verändert. In der Studie wurden 100 Personen untersucht, die angaben, regelmäßig zu schlafwandeln. 47 von diesen Personen gaben an, sich während ihrer nächtlichen Spaziergänge bereits verletzt zu haben. Die Wissenschaftler interessierte zusätzlich, ob die Verletzungen zum Aufwachen führten, oder ob die befragten Personen trotz der Schmerzen mit dem Schlafwandeln fortfuhren. Von den 47 Personen, die sich während des Schlafwandelns verletzten, gaben lediglich 10 an, als Folge der Verletzung aufgewacht zu sein. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass unter Verletzungen nicht nur ein angehauener Ellbogen zu verstehen ist, sondern auch schwerwiegende Verletzungen. Eine Person gab beispielsweise an, während des Schlafwandelns aus dem dritten Stock gefallen zu sein. Die Folgen des Unfalls hat die Person aber erst später in der Nacht bemerkt, als sie vor Schmerzen aufgewacht ist.

Nachts schmerzfrei, tagsüber Kopfschmerzen

Neben den offensichtlichen Gefahren, die mit Schmerzresistenz einhergehen, fiel den Wissenschaftlern noch eine weitere Besonderheit auf. Schlafwandelnde Personen leiden viermal so oft unter Kopfschmerzen und zehnmal so oft an Migräne wie der Durchschnitt der Bevölkerung. Die nächtliche Schmerzfreiheit ist also teuer erkauft. Eine Erklärung für die Häufung von Kopfschmerzen und Migräne konnten die Wissenschaftler nicht geben.

Wichtige Fragen nach wie vor ungeklärt

So spannend diese Erkenntnis auch ist, das Mysterium Schlafwandeln kann dadurch nicht geklärt werden. Beispielsweise passen die für die Tiefschlafphase typischen Gehirnströme nicht mit der körperlichen Aktivität zusammen, schließlich zeichnet sich die Tiefschlafphase normalerweise durch eine Art Lähmung des Körpers aus. Bis dahin kann das Thema Schlafwandeln weiter von Kunst und Fernsehen aufgearbeitet werden und unsere Vorstellungskraft Flügel verleihen.

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Quellen:

Lopez, R., Jaussent, I. & Dauvilliers, Y. (2015) Pain in Sleepwalking: A Clinical Enigma. Sleep, 38(11), 1693-1698.

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