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So lassen Sie Stress für sich arbeiten

Seit Jahren hören wir immer das Gleiche: Stress ist schlecht, wenn möglich, soll er vermieden werden. Doch ist Stress wirklich Teufelszeug? Eine Neubetrachtung.

Noch ein Tag bis zur großen Abschlussprüfung. Bei Bestehen ist das Studium erfolgreich abgeschlossen, der neue Lebensabschnitt winkt. Bei Scheitern ist die Blamage umso größer. Der große Druck führt zu Stress. Der Körper ist in Alarmbereitschaft, er ist auf Höchstleistung eingestellt. Er kommt mit wenig Schlaf und Essen aus, konzentriertes Arbeiten fällt einfacher als in all den Wochen zuvor. In dieser Situation ist Stress von Vorteil, er hilft uns Dinge zu erreichen, die wir ohne Stress nicht oder nur schlechter erreichen würden. Wieso hat Stress dann so ein schlechtes Image? Wieso versucht alle Welt uns weißzumachen, dass Stress vermieden werden sollte, dass Stress krank macht? Und gibt es ihn überhaupt, diesen einen Stress?

Evolutionär sinnvoll

Unser Leben in Schule, Studium und Beruf ist aus evolutionärer Sicht erst seit einem Wimpernschlag Normalität. In unseren Genen steckt noch der Urmensch. Dieser musste einen Spagat zwischen zwei Herausforderungen meistern: Energie sparen, wenn möglich und Energie bereitstellen, wenn nötig. Daraus sind zwei Systeme entstanden. Ein System, das dominiert, wenn wir entspannt sind und eines wenn wir unter Stress stehen. Stress bedeutet evolutionär fight or flight – kämpfe oder fliehe.

Bei Stress muss der Körper alles leisten, was in ihm steckt. Daher ist der Puls erhöht, wir fangen an zu schwitzen, in der Annahme, dass wir uns gleich körperlich betätigen und unser System nicht erst während der körperlichen Belastung hochgefahren werden soll. Unsere Pupillen weiten sich, um nichts aus dem Auge zu verlieren. Bereiche unseres Gehirns, die die Aufmerksamkeit erhöhen werden besser durchblutet. Verletzungen werden erst als solche nach der Stresssituation erkannt. Auch unsere Hände werden feucht, wir können dadurch leichter nach Steinen greifen, sie flutschen uns nicht so leicht aus der Hand.

Kurzfristig gut, langfristig schlecht

Stress hat seine Daseinsberechtigung, wenn er Hilft vor einem Bären zu fliehen, oder, auf die heutige Zeit bezogen, eine Prüfung zu bestehen. Anders verhält es sich, wenn Stress chronisch wird. Dann rächt sich, was kurzfristig von Vorteil ist. Durch die Hormone Kortisol, Noradrenalin und Adrenalin werden Entzündungen unterdrückt. Entzündungen sind jedoch äußerst hilfreich Verletzungen oder Krankheiten zu bekämpfen. Unter Stress kann es zu Verengungen der Blutgefäße kommen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die Folge. Und ein Körper auf Angriffs- und Verteidigungsmodus schläft bekanntlich schlecht.

Auch die Knochen werden brüchiger, da der Körper bei einem hohen Kortisol-Spiegel das für den Knochenaufbau wichtige Kalzium vermehrt ausscheidet. Auch die Verdauung leidet, in Angriffs- und Verteidigungssituationen gibt es nun einmal wichtigeres als eine gute Verdauung. Diese Liste ließe sich fortführen.

Was ist Stress?

Doch was genau Stress ist, darüber scheiden sich die Geister. Bei Maschinen ist die Sache einfach: Je mehr das Material beansprucht wird, desto höher ist der Stress. Bei Menschen ist die Sache schwerer zu beurteilen. Was der eine als Stress empfindet, sieht der andere als Herausforderung. Viele Wissenschaftler unterteilen Stress daher in positiven Eustress und negativen Distress. Eustress wirkt herausfordernd, motivierend und belebend und ist für den Körper keineswegs schlecht.

Distress, auf der anderen Seite, wird als Druck empfunden, der frustriert und das Denken einengt. Es ist der Distress, unter dem der menschliche Körper leidet. Anhand des eingangs genannten Beispiels lässt sich die Unterscheidung gut veranschaulichen. Während die eine Person die anstehende Prüfung als Chance sieht, das eigene Wissen unter Beweis zu stellen (Eustress), spürt die andere Person die Angst vor dem schmachvollen Scheitern (Distress). Stress ist, was als solcher empfunden wird.

So können Sie Stress für sich nutzen

Wie bereits erwähnt, entscheidet nicht die Arbeitsbelastung an sich darüber, ob wir negativen Stress empfinden, sondern die Interpretation der Situation. Damit ist gemeint, dass wir selbst Einfluss darauf haben, wie wir eine Situation bewerten. Begeben wir uns wieder an den Anfang und versetzen uns in den fleißigen Studenten, den seine alles entscheidende Prüfung am nächsten Tag erwartet. Sieht er diese als Herausforderung und wird dadurch positiv motiviert, umso besser. Falls er jedoch die Begleiterscheinungen von Stress erlebt (schweißnasse Hände, erhöhter Puls, trockener Mund etc.) so ist noch nicht alles verloren; denn nur wenn der Student diese körperlichen Reaktionen als negativ bewertet, besitzt Stress einen negativen Einfluss auf die Gesundheit.

Wie bedeutend die Interpretation der Symptome ist, konnte in einer großangelegten amerikanischen Studie nachgewiesen werden. Darin untersuchte ein Forscherteam um Abiola Keller der Universität Wisconsin, inwiefern Stress die Lebenserwartung beeinflusst [1]. Es zeigte sich – wenig überraschend – dass Menschen, die chronischem Stress ausgesetzt sind, signifikant früher sterben.

Höhere Lebenserwartung trotz Stress

Doch dann untersuchten die Forscher, wie die Wahrnehmung von Stress, die Lebenserwartung beeinflusst. Dabei zeigte sich, dass Menschen, die Stress als einen sinnvollen Mechanismus des Körpers betrachten, die Leistungsfähigkeit zu erhöhen, nicht nur keine verringerte Lebenserwartung besaßen, sondern eine höhere Lebenserwartung (verglichen mit dem Durchschnitt) aufwiesen. Natürlich ist damit noch nicht demonstriert ist, dass man selbst Einfluss darauf hat, wie Stress auf den Körper wirkt. Darüber gibt uns eine weitere Studie, die in Harvard durchgeführt wurde, Aufschluss [2].

Einer Gruppe von Studienteilnehmern wurde vor einer Stressauslösenden Situation mitgeteilt, sie sollte Stressreaktionen als ein Hilfsmittel sehen und als etwas Positives betrachten. Eine andere Gruppe erhielt keine derartige Aufforderung. Im Anschluss wurde erfasst, wie die Teilnehmer mit dem verursachten Stress umgingen. Dabei zeigte sich, dass jene Studienteilnehmer, denen mitgeteilt wurde, dass ihre körperlichen Reaktionen etwas Positives seien, weniger ängstlich waren und sich selbstsicherer und weniger gestresst fühlten.

Darüber hinaus wurde erfasst, wie das Herz-Kreislaufsystem auf den Stress reagierte. Üblicherweise schlägt das Herz schneller und die Blutgefäße verengen sich unter Stress. Diese Blutgefäßverengung ist der Grund, weswegen Stress die Wahrscheinlichkeit steigert, an einem Herzinfarkt zu sterben. In der Studie zeigte sich jedoch, dass die Blutgefäße der Teilnehmer, denen eine positive Assoziation zu Stress vermittelt wurde, keine Verengung aufwiesen. Die Einstellung gegenüber Stress beeinflusst somit nicht nur das persönliche Empfinden der Situation, sondern spiegelt sich auch in objektiven Untersuchungen wieder.

Zusammenfassung

Stress ist eine natürliche Form des Körpers mit Herausforderungen umzugehen. Stress kann positive (Eustress) oder negative (Distress) Auswirkungen haben. Wie die Auswirkungen sind, können wir selbst darüber kontrollieren, ob wir Stress als etwas Schlechtes oder Hilfreiches betrachten.

Quellen:

1: Keller, A., Litzelman, K., Wisk, L. E., Maddox, T., Cheng, E. R., Creswell, P. D., & Witt, W. P. (2012). Does the perception that stress affects health matter? The association with health and mortality. Health Psychology, 33(5), 677-684.

2: Jamieson, J. P., Mende, W. B., & Nock, M. K. (2013). Improving acute stress responses: The power of reappraisal. Current Directions in Psychological Science, 22(1), 51-56.

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